Karl VIII. von Frankreich (1470–1498) aus dem Haus Valois hatte ehrgeizige Pl?ne, als er im September 1494 in Italien einfiel. Mit Unterstützung des Papstes und Mailands wollte er Neapel gewinnen, das im 13. Jahrhundert durch Karl von Anjou in franz?sischen Besitz geraten war, inzwischen aber von Spaniern regiert wurde. Mit einem Heer von 32.000 Mann zog Karl VIII. über Florenz und Rom bis vor Neapel, das sich im Februar 1495 kampflos ergab. Nur einige Festungen hielten stand. In den folgenden drei Monaten konnten sich Karls M?nner den tollsten Ausschweifungen hingeben. Dann kam ein unbekanntes Grauen über sie.
?Die einen waren vom Scheitel bis zu den Knien mit einer zusammenh?ngenden fürchterlichen schwarzen Art von Kr?tze überzogen und dadurch so abschreckend, dass sie, von allen Kameraden verlassen, sich in der Einsamkeit den Tod wünschten“, schrieb ein Augenzeuge. ?Die anderen hatten diese Kr?tze nur an einzelnen Stellen, aber h?rter als Baumrinde, am Vorder- und Hinterhaupt, an der Stirne, am Halse, der Brust, dem Ges?? und zerrissen sich dieselben vor heftigem Juckreiz mit den N?geln ... an den Ohren und an der Nase wuchsen dicke und rauhe Pusteln ... die mit bestialischem Gestank aufbrachen und vorherstehenden Hauern glichen.“
Es folgten hohes Fieber, unertr?gliche Gelenkschmerzen und schneller, meist t?dlich endender Verfall, schreibt der Medizinhistoriker Stefan Winkle in seinem Buch ?Gei?eln der Menschheit. Kulturgeschichte der Seuchen“. Die anf?ngliche Sympathie der Neapolitaner – schlie?lich hatten die Franzosen sie von einem drückenden Regime befreit – schlug in Feindschaft um. Als auch noch ein spanisches Heer gegen die Stadt anrückte, lie? Karl VIII. seine Beute zusammenpacken und machte sich nach Norden davon.
Damit verbreitete er die unbekannte Seuche in Europa, denn sein Heer l?ste sich buchst?blich auf, bevor die Reste im Juli 1495 bei Fornovo von einem kombinierten italienischen Heer geschlagen wurden. Bald sorgte die Krankheit für gr??eres Entsetzen als die Pest, die den Kontinent seit 1347 in immer neuen Wellen überfiel. Denn der ?Schwarze Tod“ machte kurzen Prozess, die neue Seuche dagegen t?tete erst nach langem Siechtum. ?Meist blieb man sein Leben lang gezeichnet wie ein Auss?tziger, nur dass man im Gegensatz zur Lepra ununterbrochen von unertr?glichen Schmerzen gepeinigt wurde“, schreibt Winkle.
Es war die Syphilis, die sich damals anschickte, Europa eine t?dliche Geschlechtskrankheit zu bescheren. Woher sie kam, ist bis heute nicht abschlie?end gekl?rt. Lange hielt man sie für ein Souvenir aus der Neuen Welt, das Christoph Kolumbus von seiner ersten Entdeckungsfahrt nach Westen mitgebracht hatte. Kaum war er nach seiner Rückkehr im Mai 1493 in Barcelona empfangen worden, befriedigten seine Leute ihren Triebstau in den Bordellen der Hafenstadt.
über die Folgen notierte der dort praktizierende Arzt und Augenzeuge Ruy Díaz de Isla im Jahr 1539: ?Die Krankheit stammt von der jetzt Hispanola (Haiti und Dominikanische Republik) genannten Insel. Diese wurde entdeckt und benannt von dem Admiral Don Cristobal Colon (Kolumbus), wobei man mit den Eingeborenen in Berührung kam. Da die Krankheit ansteckend ist, befiel sie die Mannschaft, die das bisher nicht gekannte Leid auf die Strapazen der Seereise schob.“
Ein anderer Augenzeuge, der H?fling Gonzalo Fernández de Oviedo, wurde deutlicher: ?Die Krankheit wird am leichtesten durch Geschlechtsverkehr übertragen, wie man es oft beobachtet hat ... Von den Spaniern, die mit den indianischen Weibern verkehrten, entgingen nur wenige der Ansteckung.“ Von den H?fen Spaniens sei die Krankheit dann nach Italien und in andere L?nder gelangt.
Historiker und Mediziner sind dieser Beschreibung lange gefolgt. Wie Kartoffel, Kürbis, Tomate oder Mais schien auch der Erreger der Syphilis ein Geschenk der Neuen an die Alte Welt zu sein, in ihrem Fall aber ein t?dliches. Die passende Antwort auf die m?rderischen Krankheitserreger, mit denen die Europ?er die V?lker Amerikas attackierten und oft genug ausl?schten. Pocken, Pest oder Masern hatten die vorkolumbianischen Kulturen nichts entgegenzusetzen.
Neueste Analysen revidieren dieses Bild. Auf dem Friedhof von St. P?lten in Nieder?sterreich haben Arch?ologen das Skelett eines etwa siebenj?hrigen Kindes entdeckt, das schon im Mutterleib mit dem Syphilis-Erreger infiziert worden war und die für die Geschlechtskrankheit typische Zahnmissbildungen entwickelt hatte. Da der Tod des Kindes sehr genau auf die Mitte des 15. Jahrhundert datiert werden kann, gilt dies als Beleg für die These vor, dass sich das Bakterium Treponema pallidum auch in der Alten Welt seine Opfer gesucht hat.
Zum gleichen Schluss kam unl?ngst ein Forscherteam der Universit?t Zürich. Es konnte mit gentechnischen Methoden Treponema pallidum in den überresten eines Menschen nachweisen, der sehr wahrscheinlich vor Kolumbus gelebt hat. Mit molekulargenetischen Modellrechnungen schlossen die Wissenschaftler darauf, dass Erreger aus der Familie der Syphilis-Bakterien seit mehr als 2500 Jahren in Europa grassieren.
Dazu würden Berichte aus der Antike passen, die von einer unangenehmen aber keineswegs t?dlichen Hautkrankheit berichten. Offenbar wurde Homo sapiens durch die Jahrtausende von verschiedenen pathogenen St?mmen von Treponema pallidum befallen. Die Europ?er, die ab 1492 Sex mit Amerikanerinnen hatten – denn vor allem über den Geschlechtsverkehr übertr?gt sich die Syphilis – , trugen zwar Antik?rper gegen die Altwelt-Varianten der Seuche in sich, waren aber der aggressiven Form, die sie in der Neuen Welt empfingen, hilflos ausgeliefert.
Als lebende Leichname mit stinkendem Atem, deformiert eingestülpter Nase, fressenden Hautgeschwüren und hinkendem Bein beschrieb der berühmte Humanist Erasmus von Rotterdam die armen Teufel, die sich in Betten und Bordellen infiziert hatten. Dass ihre Passion das ?franz?sische übel“ genannt wurde, verdankt sich im übrigen Karl VIII. Als sich sein sieches Heer 1495 nach Norden schleppte, beschrieben Italiener seine Krankheit als ?Mal francese“ oder ?Mal gallico“.
Kurz darauf klagte der deutsche Humanist Jakob Wimpheling: ?O wieviele junge Menschen, wieviele M?nner haben sich bei den sch?ndlichen Dirnen das franz?sische übel geholt?“ Noch heute ist die Syphilis hierzulande als ?Franz?sische Krankheit“ bekannt. Fairerweise sei angemerkt, dass die Seuche in den meisten Sprachen nach denen benannt wurde, mit denen sie zuerst erschien. So sprechen die Engl?nder von ?French Pox“, die Niederl?nder von ?spanske (spanischen) Pocken“, die Polen von ?deutscher“ und die Russen von ?polnischer Krankheit“.
Sie finden ?Weltgeschichte“ auch auf Facebook. Wir freuen uns über ein Like.