Hamburg hatte sich eingerichtet in der Selbstgewissheit, dass die Hansestadt zu den reichsten und lebenswertesten Orten der Welt z?hlt. Doch der Wohlstand ist gef?hrdet, die Pandemie legt Hamburgs Schw?chen rigoros offen. Ausgerechnet jene Branchen, die vor der Ausbreitung des Coronavirus boomten, wurden durch die Seuche am st?rksten getroffen, die Luftfahrtindustrie, der Tourismus, die Gastronomie. Der Hafen wiederum k?mpft seit Jahren mit der Stagnation des Güterverkehrs, der Wettbewerb in der Region wird h?rter.
Wohin sollen Hamburg und seine Wirtschaft steuern in einer Welt, die sich immer schneller ver?ndert? Die Handelskammer Hamburg will Antworten darauf finden. Mitte Dezember legte sie den Auftakt zur Strategie ?Hamburg 2040“ vor. Als Grundlage dafür dient auch eine Befragung, an der 3200 ihrer insgesamt rund 170.000 Mitgliedsunternehmen teilgenommen haben.
?Die gr??ten Herausforderungen für Hamburg sehen die Unternehmen bei den Themen Verkehr, Klimaschutz und Innovationsf?higkeit. Gerade bei der Innovationsf?higkeit wird gro?er Nachholbedarf gesehen“, sagte Malte Heyne, seit Juni Hauptgesch?ftsführer der Handelskammer, WELT AM SONNTAG. ?Das Denken innerhalb der Hamburger Landesgrenzen sehen viele der befragten Unternehmen und Experten ebenfalls als ein Defizit an.“
Diese St?dte k?nnten Vorbilder sein
Nach Jahren interner K?mpfe mit den ?Kammerrebellen“ will Deutschlands ehemals st?rkste Kammer wieder ein Motor für Hamburgs Entwicklung sein. Das im Februar neu gew?hlte Plenum treibt dies gemeinsam mit dem Hauptamt voran. Ein Werkzeug für die Strategie ?Hamburg 2040“ ist eine Analyse darüber, wie St?dte in anderen L?ndern zu internationalen Vorreitern bei bestimmten Themen wurden – denn Hamburg neige dazu, besonders den eigenen Erfolg im Blick zu haben: ?In Hamburg wird oft über eine gewisse Saturiertheit diskutiert, auch beim Willen zum Wandel und der Innovationsf?higkeit der Wirtschaft – wir bekommen viele positive Rückmeldungen dazu, dass wir dieses Thema st?rker ansprechen“, sagt Heyne. ?Letztlich ist das aber ein gesellschaftlicher Diskurs, der in aller Breite geführt werden muss.“
Die Kammer beauftragte das Unternehmen Statista damit, St?dte zu finden, die Herausragendes leisten – und die so auch ein Vorbild für Hamburg sein k?nnten. Herausgekommen sind zehn Profile: Cork in Irland etwa ist ein Vorreiter bei der F?rderung des lebenslangen Lernens, Tel Aviv bei der Entwicklung digitaler Medizintechniken, das japanische Akita bei der Integration ?lterer Menschen in das Stadtleben. Paris setzt auf die Erreichbarkeit aller wichtigen Alltagsziele innerhalb von 15 Minuten, Rotterdam baut um die Erzeugung, die Nutzung und den Transport von Wasserstoff herum am Hafen und an den Logistikprozessen der Zukunft.
?Wir haben diese zehn St?dte gemeinsam mit Statista in einem mehrstufigen Prozess ermittelt. Zun?chst haben wir die Themen definiert, etwa Mobilit?t, Wasserstoff und erneuerbare Energien oder die Entwicklung und Nutzung künstlicher Intelligenz“, sagt Heyne. ?Wir stehen am Anfang unserer Strategie Hamburg 2040 und brauchen dafür auch Inspiration.“
Hamburgs weltweites Netzwerk muss erweitert werden, sagt Heyne. Hamburger Politik- und Wirtschaftsdelegationen sollten künftig mehr im Blick haben, als die klassischen Handelsbeziehungen zu festigen. ?Bei der Umsetzung dieser Strategie haben wir einen langen Weg vor uns. Ein Faktor dabei k?nnen engere Kooperationen mit diesen ,Trend-Citys’ sein, die sich nach der Pandemie auch durch pers?nliche Kontakte oder Delegationsreisen der Wirtschaft ausbauen lassen“, sagt er. ?Bei der Telemedizin etwa macht es viel Sinn, unsere schon bestehenden Kontakte zu Tel Aviv weiter zu vertiefen.“
Nach Ansicht der Handelskammer hat Hamburg alle Mittel, die Umbrüche der kommenden Jahre mitzugestalten – wenn die st?dtischen Akteure bereit seien, ?heraus aus der Komfortzone“ zu kommen, wie es die Kammerführung bei der Pr?sentation von ?Hamburg 2040“ formulierte.
?Technologietransfer in die Wirtschaft hinein bringt enorme Zuw?chse an Produktivit?t. Beim Aufbau von Technologieparks, wo das sehr konzentriert geschieht, sind wir teils zehn oder 15 Jahre hinter den in Deutschland führenden Standorten wie etwa der Technischen Universit?t München“, sagt Heyne. ?Das R?ntgenlaser-Zentrum Desy ist ein Leuchtturm der Wissenschaft in Hamburg – es fehlt aber bislang noch an Start-up-Unternehmen, die das Wissen des Desy st?rker in die Wirtschaft hineintragen k?nnen. Der Senat hat richtig entschieden, in Hamburg mehr Technologieparks um die Universit?ten und Forschungseinrichtungen herum zu schaffen.“
Gründungen von Hochtechnologie-Unternehmen sind aus Sicht der Kammer ein Schlüsselfaktor für Hamburgs Erfolg. ?Wir müssen jetzt antizipieren, welcher n?chste gro?e Trend nach der Digitalisierung kommen wird“, sagt Heyne. ?Wir sehen eine gro?e Chance darin, auf die voraussichtlich st?rkere ,Biologisierung’ der Lebens- und Arbeitswelt mit einer bereits heute starken Biotech-Branche die n?tigen Antworten zu finden und zu geben. Darauf müsste sich die Hamburger Wirtschaft heute schon fokussieren.“
Allerdings sollte Hamburg als Standort für Start-up-Unternehmen mehr tun, denn die Konkurrenz auch in Deutschland sei stark: ?Wir haben in Hamburg sehr viel Geld, um Start-up-Unternehmen zu unterstützen, und sehr viele mittelst?ndische Unternehmen, mit deren Wissen und Erfahrung Neugründungen verbunden werden k?nnen“, sagt Heyne. ?Um hier st?rker zu werden, müssen wir die Akteure aber besser vernetzen, auch für die Bereitstellung von Risikokapital. Dabei wollen wir auch als Kammer eine aktivere Rolle spielen.“
Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelm??ig nach Hause.