Bisher hatte ihr Vater schon l?ngst das Haus verlassen, wenn die Kinder aufstanden. Jetzt sitzt er mit ihnen am Frühstückstisch. Er ist da, aber er ist kaum ansprechbar – und das, obwohl seine Auftr?ge fast alle abgesagt wurden.
Die Mutter klagt, sie k?nne sich bei ihrer Arbeit nicht mehr konzentrieren. Abends, wenn die Kinder im Bett liegen, streiten die Eltern – über die Unordnung, die Lastenverteilung und den Sommerurlaub, der vermutlich nicht stattfindet. So sieht gerade der Alltag für Millionen Kinder in Deutschland aus.
Die Corona-Krise hat die Bundesrepublik lahmgelegt. Viele Eltern fühlen sich überlastet und haben wirtschaftliche Sorgen. Das spüren ihre Kinder, egal wie alt sie sind.
Es verunsichert sie. Sie brauchen eine Erkl?rung für das, was um sie herum geschieht, und sie brauchen ihre Eltern als Vorbilder. Nur dann lernen Kinder, mit der schwierigen Lage und ?konomischem Verzicht umzugehen, und k?nnen sogar von der Situation profitieren.
Fest steht: Die Krise ist l?ngst bei den Jüngsten angekommen. Laut einer repr?sentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Organisation Save the Children fürchtet jedes fünfte Kind, dass es in seiner Familie zunehmend Streit geben k?nnte.
Positives in Aussicht stellen
Forsa befragte in der Woche vor Ostern Kinder zwischen acht und 17 Jahren sowie Erwachsene, die Kinder in diesem Alter haben. Mehr als ein Drittel der Heranwachsenden hat sogar Sorge, dass viele Menschen infolge der Corona-Krise ihren Arbeitsplatz verlieren k?nnten.
Gegen die Unsicherheit hilft vor allem eines: reden. ?Es ist wichtig, dass die Eltern sehr viel mit ihren Kindern sprechen“, sagt der ?konom und Bildungsexperte Axel Plünnecke vom K?lner Institut für Wirtschaft (IW). ?Sie haben ein sehr feines Gespür und merken sofort, wenn etwas nicht stimmt. Spricht man nicht mit ihnen, fühlen sie sich schnell ausgegrenzt oder beziehen die Probleme der Eltern auf sich.“
Kinder seien dann sehr verunsichert und litten unter Verlust?ngsten, so Plünnecke. ?Informationen sind wichtig, um die Resilienz in der Familie zu st?rken.“ Videos bei YouTube, die die Krise auch für Kinder verst?ndlich erkl?ren, k?nnten bei den Erkl?rungen eine hilfreiche Unterstützung sein.
Transparenz findet auch der Frankfurter Experte für Kinder- und Jugendtherapie Christian Pauls wichtig. Dabei sollten Eltern ihre Kinder nicht mit Informationen überfrachten. Entscheidend ist ihr Alter.
Für die Jüngsten, die noch in den Kindergarten gehen, müssten die Eltern die Lage m?glichst plastisch und einfach erkl?ren, sagt Pauls. Sie sollten zwar vermittelt bekommen, dass die Familie zurzeit kürzertreten müsse. Pauls jedoch r?t, ihnen auch ein positives Erlebnis in Aussicht zu stellen.
Faire Lastenverteilung innerhalb der Familie
Eltern k?nnen sie beispielsweise motivieren, indem sie sagen: ?Wir müssen jetzt sparen, dann haben wir auch wieder Geld für den Zoo, wenn dieser aufmacht, oder wir k?nnen im Sommer ein Eis essen gehen.“
Für die Kinder gehe es vor allem darum, materiellen Verzicht und Geduld zu lernen, meint der Experte. Kompensiert werden sollten die Entsagungen durch erh?hte Aufmerksamkeit.
Pauls empfiehlt einen gebastelten Kalender, in dem jeder Tag abgestrichen wird. Allerdings sollten dafür nur kurze, für die Kinder überschaubare Zeitr?ume von etwa zwei Wochen gew?hlt werden.
Bei Schulkindern k?nnen die Eltern mehr erkl?ren. Da diese meist schon Taschengeld bek?men, sei es wichtig, dass dieses in der Krise beiseitegelegt wird, erkl?rt Pauls. Die Erfahrung von zeitweisem Verzicht sei für die Entwicklung wertvoll. ?Geld sollte keine unbegrenzte Ressource sein, die immer flie?t.“
Im Teenageralter k?nnen Eltern dann noch weiter gehen: Wenn sie selbst in Kurzarbeit sind und ihr Einkommen geschrumpft ist, k?nnte auch das Taschengeld um diesen Anteil gesenkt werden, sagt Pauls. So lernen die Kinder Verzicht – und eine faire Lastenverteilung innerhalb der Familie.
?Arbeitslosigkeit bedeutet mehr Zeit für Kinder“
Wichtig ist auch, dass die Eltern klarmachen, dass fast alle Familien von der Krise betroffen sind. ?Sagen Sie Ihrem Kind: Nicht nur wir müssen zurückstecken, sondern auch alle in der Nachbarschaft“, empfiehlt Pauls.
?Man muss sich aus der Opferrolle befreien, alle k?mpfen zusammen.“ Je ?lter die Kinder sind, desto mehr k?nnen Eltern den Kreis der Betroffenen dem Experten zufolge weiten: Was bedeutet die Krise für die Gesch?fte in der Stadt, für Deutschland und die Welt?
Zudem sollten Eltern ihre Vorbildrolle einnehmen. Wer panisch ist, macht auch seinen Kinder Angst. Die Corona-Krise sieht Pauls auch als M?glichkeit, mehr gemeinsame Zeit zu verbringen, mehr miteinander zu sprechen und den Zusammenhalt in der Familie zu st?rken.
Kurzarbeit sollte daher nicht nur als schlimm, sondern auch als Chance empfunden werden. Auch wenn es schwerf?llt: Verlieren Eltern ihren Job, sollten sie versuchen, ruhig zu bleiben und der Situation etwas Positives abzugewinnen.
?Arbeitslosigkeit bedeutet vorübergehend mehr Zeit für die Kinder und kann neue Chancen in einem neuen Job bringen“, sagt Pauls. Er nennt das ?kognitive Umstrukturierung in Krisen“. Diese k?nne man erlernen.
Laut IW-?konom Plünnecke ist es vor allem wichtig, dass die Kinder einen strukturierten Tagesplan haben – und es feste Zeiten gibt, die sie ungest?rt mit ihren Eltern verbringen. Dazu z?hlen die drei Mahlzeiten, aber auch eine gemeinsame Sporteinheit am Abend. Strukturen geben Plünnecke zufolge gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Sicherheit – nicht nur den Kindern, auch den Eltern.
Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelm??ig nach Hause.